Reflexionen nach Myanmar
Die Reise, über die oben berichtet wird, wirft die Frage auf, wie dieses sympathische Land mit seiner begabten Bevölkerung aus dem politischen Abseits wieder heraus und Anschluss an eine moderne Entwicklung finden könne. In dem vom Buddhismus geprägten Land wird das Militärregime nach 40-jähriger Herrschaft weithin als Garant der nationalen Einheit und von Ordnung und Stabilität hingenommen. Auch seine Kritiker sehen zu ihm angesichts schwacher politischer und gesellschaftlicher Strukturen keine Alternative; die Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat durch den Boykott der Parlamentswahl im November Anhänger verloren und erscheint als spent force. Viele setzen darauf, dass das Regime nach der Wahl Schritte der Demokratisierung einleiten wird; die soeben erfolgte Umwandlung der Junta in eine Zivilregierung, wenngleich noch mit Ex-Militärs als Mitgliedern, ist ein erstes Zeichen.
Dank großer natürlicher Ressourcen und fleißiger Menschen hat Myanmar das Potential, die Stagnation zu überwinden. Schon vor Ne Wins sozialistischer Revolution hatte es mit Agrarexporten und einer kleingewerblichen, von Auslandsinvestitionen gestützten Exportindustrie bescheidenen Wohlstand geschaffen, der durch spätere Misswirtschaft stranguliert wurde. Chinas erwachendes Interesse an Myanmars Erdgasvorkommen und am Ausbau seiner Verkehrsinfrastruktur weckt in der Bevölkerung große Hoffnungen auf neues Wirtschaftswachstum. Für Deutschland und EU stellt sich die Frage, ob die jetzige Boykottpolitik noch angemessen ist. Die Menschenrechtsverletzungen, die sie auslösten, liegen Jahre zurück; es ist an der Zeit, über eine Exit-Strategie nachzudenken. Nach Befriedung der Irredenta im Nordosten, der Novemberwahl und dem Rückhalt, den es in China, Russland und Indien findet, scheint das Militärregime so gestärkt, dass es zum kritischen Dialog mit der EU bereit sein dürfte. Der Versuch erscheint sinnvoll, ihm gegen Freilassung der politischen Gefangenen der 2007er Unruhen die Rücknahme einzelner Sanktionsmaßnahmen anzubieten und damit einen Prozess der Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen einzuleiten. Auch mit China, Vietnam und Kambodscha unterhält die EU trotz großer Menschenrechtsdefizite konstruktive Beziehungen; der derzeitige Doppelstandard gegenüber Myanmar lässt sich nicht länger überzeugend begründen. Letztlich schadet sich Europa durch die Boykottpolitik selbst; weithin wird sie für den Niedergang der Wirtschaft verantwortlich gemacht; während Deutschland früher hohes Ansehen genoss, gelten heute China und Russland als die neuen Freunde; ihr Engagement trägt lukrative Früchte bei der Ausbeutung der Erdgasvorkommen und dem Aufbau der Infrastruktur sowie der kulturellen Präsenz im Lande. Noch ist es nicht zu spät, durch Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen und der Entwicklungshilfe die Position Europas in Myanmar neu zu festigen und im Interesse der Menschen des Landes zu seinem Aufstieg beizutragen. Eine Mehrung des Wohlstands in Myanmar wäre, wie das Beispiel China zeigt, zugleich die beste Voraussetzung für eine allmähliche Stärkung seiner demokratischen Kräfte. Wiegand Pabsch